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Montag, 6. Oktober 2008

Kubi jikken - Kopfjäger

Eine der vielen Fakten, die so gar nicht in das westliche Idealbild der Samurai passen wollen ist das historische Kubi jikkendas sammeln und zur Schau stellen von Köpfen enthaupteter Feinde.

Das Ritual der Kopftrophäen gehört zu den ältesten kriegerischen Riten der Menschheit überhaupt. Ethnologische Studien bei primitiven Völkerstämmen Südostasiens bezeugen, dass die Köpfung von besiegten Gegnern wenig mit körperlicher Grausamkeit und Brutalität zu tun hat. Das Sammeln von Köpfen in Kriegszeiten ist eher ein Zeichen der tiefen Verbundenheit mit dem Feind, durch sie gehen positive Eigenschaften des Feindes auf den siegreichen Krieger über, er schützt sich so vor den Geistern der Toten und hält die fremden Schädel noch über Generationen in Ehren.

Durch ihre Isolation innerhalb des Inselreiches haben sich auch in Japan viele Riten primitiver Kriegsführung, wenn auch unterschwellig, erhalten können, die dem gleichen Zivilisationsstand auf dem Festland nicht mehr entsprochen hätten. Da die Japaner im großen Maßstab quasi nur unter sich selbst Krieg führten und kaum fremden militärischen Einflüssen ausgesetzt waren, konnten sich solche reliktartigen Kampfweisen wie die Namensnennung vor dem Feind, der persönliche Zweikampf in der Schlacht oder eben auch die Kopfjagd (Kubi kiri) bis ins hohe Mittelalter behaupten.

Wenn in der Anfangszeit der japanischen Stämme die Schädeltrophäen sicher noch ähnliche Hintergründe hatte wie bei anderen Völkern Südostasiens, spielten sie später fast nur noch als Beweisstück persönlicher Tapferkeit und kriegerischer Fähigkeit eine Rolle. Nach dem Niederschlagen eines Feindes hieb oder schnitt man dessen Kopf mit Schwert oder Dolch ab und brachte ihn hinter die eigenen Linien in Sicherheit. Diese Praxis wird bereits in den frühesten Kriegergeschichten Japans beschrieben, wenn z.B. im 11. Jhdt. Minamoto Yoshiie die Schädel getöteter Rebellen zu Schaustellung nach Kyoto bringt oder Kusano Jiro, mit 21 erbeuteten Köpfen, als einer der erfolgreichsten Krieger bei der Niederschlagung der Mongoleninvasion geehrt wird. Das Enthaupten (Kubi kiri) des Feindes und Sicherstellen der Schädel gehört untrennbar zur japanischen Kriegsführung wie der Bogen und das Schwert (eventuell lassen sich in diesem Zusammenhang auch die Massaker an alliierten Soldaten im 2. Weltkrieg erklären, die im Geist wieder erwachter Traditionen begangen wurden?). In den Kampf zu ziehen bedeutete für einen Samurai „...danach mit dem blutigen Haupt des Feindes in der Hand, oder ohne das eigene, nach Haus zurück zu kehren...", wie es Tokugawa Ieyasu vor der Schlacht von Sekigahara (1600) beschrieb. Demnach gab es für die japanischen Krieger keine großen Alternativen.

Die Praxis des Kubi kiri als historisches Siegesritual endete in einer großen Kopfschau (Kubi jikken), welche nach der Schlacht vor den Augen des siegreichen Feldherren oder Daimyo abgehalten wurden. Hierbei spielten strenge Regeln und festgeschriebene Rituale eine große Rolle. Zu aller erst wurden die gesammelten Köpfe mit großem Respekt behandelt und von den Spuren der Schlacht, das heißt Schmutz, Blut und Schweiß gesäubert. Je nachdem es die Zeit erlaubte, wurden eventuelle Verletzungen überschminkt, das Haar und der Bart gewaschen und neu gelegt und der Haarknoten mit einem Papierfahne versehen, auf der Name des Toten sowie sein Bezwinger vermerkt waren. Musste die Kopfschau im Feld recht zügig abgehalten werden, präsentierte man die Schädel auf einem Kriegsfächer (Gunsen) im Feldlager des Fürsten, wobei jede einzelne Trophäe eingehend begutachtet und kommentiert wurde. Dieser Zeitpunkt entschied über Beförderung und Auszeichnung der Krieger innerhalb des eigenen Heeres.

Hatte man etwas mehr Zeit für die Präparation der Köpfe verfeinerte sich das Ritual und den Toten kam etwas mehr Ehre zuteil. So hielt man die Haare der Schädel über Weihrauch (was Glück bringen soll), rasierte sie, falls sie schon längere zeit im Feld sein sollten, an Bart und Tonsur und ölte das Haupthaar frisch ein. Anschließend drapierte man die Schädel auf speziellen hölzernen Bretter, welche mit einem Dorn zum feststecken der Trophäen und einem Schild zur Identifizierung versehen waren. Normalerweise waren diese Arbeitsgänge Frauen vorbehalten, nur in Ausnahmefällen wurden sie von Dienern der Fürsten vorgenommen.

Nach der Präparation wurde der Schädel von einem Krieger getragen um ihn dem Feldherren zu präsentieren. Feinde, die tapfer gekämpft hatten wurden lobend erwähnt, der Umstand der Erbeutung der jeweiligen Trophäe bekannt gegeben und die Samurai, die sich in der Schädeljagd besonders hervorgetan hatten mit begehrten Titeln ausgezeichnet. Dieses Ritual kann man am einfachsten mit der Ordensverleihung in modernen Armeen vergleichen. Besondere Tapferkeit vor dem Feind, aufopferungsvoller Einsatz in der Schlacht und die Anzahl der genommenen Köpfe wurden öffentlich benannt. Titel, die speziell mit dem Überwinden von besiegten Feinden verbunden waren, wurden wie folgt benannt:

Ichiban kubi – hat als erster einen Kopf in der Schlacht genommen

Yarishita no komyo – hat auf der Höhe der Schlacht einen Kopf genommen

Kumiuchi no komyo – hat einen Kopf im waffenlosen Kampf genommen

Tachiuchi no komyo – hat einen Kopf im Schwertkampf genommen

Tsukiyari no komyo – hat einen Kopf im Speerkampf genommen

Kuzurekiwa no komyo – hat einen Kopf genommen, als er die eigenen Linien gegen angreifende Feinde hielt...

Ein anschauliches Beispiel für eine solche Auszeichnung liefert ein Bericht über Tsukahara Bokuden, den Gründer der Shinto ryu Fechtschule, in den Analen des Koyo Gunkan:

„...Bokuden kämpfte neun mal mit seinem Speer in der Schlacht, wobei er 21 Köpfe erbeutete. Von diesen wurden 7 als Yarishita no komyo und Kuzurekiwa no komyo klassifiziert. Er bekam daraufhin den Titel eines tapferen Kriegers (Buhen) verliehen..."

Eine Ausnahme im Ritual der Schädelschau bildete die Präsentation des Kopfes eines erschlagenen feindlichen Daimyo oder Feldherren, der von je zwei Kriegern getragen wurde. Solch wertvolle Beweisstücke wurden auch sonst mit großen Würde behandelt. Nach überliefertem Ritual gewährte man ihnen noch ein „letztes Mahl" wobei dem Haupt des ehemaligen Feindes Sake gereicht wurde und man ein Stück Nori (unabdingbarer Bestandteil der japanischen Küche) auf die Zunge legte. Zusammen mit einem Stück Awabi (Seeohr) und Kuri (gekochter Kastanie) waren diese drei Stücke Teil der traditionellen Kriegermahlzeit, welche die Samurai vor dem Kampf zu sich nahmen...

Ein interessanter Fakt bei der Betrachtung dieses Themas ist, dass mit der offiziellen Schädelschau auch abergläubische Aspekte verbunden waren. Die Weissagung aus den Schädeln getöteter Feinde war ein fester Bestandteil des Kubi jikken. Je nach Physiognomie und Erscheinung der Köpfe deutete man auf zukünftiges Kriegsglück oder –leid: die Augen des Kopfes waren geschlossen oder schauten nach unten, bedeutete Glück; Augen nach oben oder nur ein Auge geöffnet, gepaart mit gebleckten Zähnen, bedeutet Unglück. Schauten die Augen der Trophäe nach rechts sagte man den Verbündeten Glück voraus, schauten sie nach links hieß das Glück für den Feind. 

So betrachtet spielte das Schädelnehmen und natürlich auch das „Behalten" in den Kriegszügen der Japaner eine so große Rolle daß ein „Schädelbeutel" (Kubi bukuro) mit zur Standardausrüstung der Bushi gehörte. Dieser Beutel, in Form eines kleinen Netzes, konnte am Sattel des Pferdes oder an der Rüstung angebunden werden und diente zur Aufbewahrung der Trophäen bis zum Ende der Schlacht. Ein anderer Hinweis auf die Bedeutung des Kopfes als Trophäe schildert eine Episode aus dem Jahr 1615 (Sommer-Feldzug Osaka):

„...Tokugawa Ieyasu wurde der Schädel eines feindlichen Samurai, namens Kimura Shigenari, präsentiert. Dabei stellte man fest, dass Kimura vor der Schlacht wohlriechende Essenzen in seinem Helm verbrannt hatte, um ihn als Trophäe noch attraktiver zu machen..."

oder eine Begebenheit aus den Gempei-Kriegen von 1183 (Shinowara), als der weißhaarige Veteran Saito Sanemori sein Haar mit Tusche schwarz färbte, um sein Alter zu kaschieren. Erst beim Waschen seines Kopfes, als das Haar seine Farbe verlor, erkannten die Sieger das Opfer.

Bei Kriegen und militärischen Aktionen mit anderen Nationen und Ländern änderte sich die Verhaltensweise in der Schädelsammlung etwas. Zwar blieben die Japaner bei ihren Feldzügen in Korea (1592-93 / 1597-98) und den Mongoleneinfällen (1274 / 1281) ihrer kriegerischen Tradition treu, doch gab es hier keine Ehrung der Toten wie nach Kämpfen zwischen japanischen Fürstenhäusern. Einige Historiker sehen darin einen Ausdruck des starken National bewusst seins der Japan. Ich persönlich denke eher, es handelt sich um eine Art Intimverhalten – innerhalb der japanischen Inseln kannten sich die Clans seit Generationen. Man wusste sehr gut über seinen Gegner, dessen Familie, seine Generäle und Burgen Bescheid, der Ruf seiner besten Krieger war über die Provinzgrenzen weit verbreitet und meist waren schon die Urgroßväter miteinander in militärische Aktionen verwickelt gewesen – man war mit dem Feind quasi „vertraut". Am Sieg über einen solchen Gegner konnte man sich messen und im Wissen um dessen Taten auch dessen Tapferkeit ehren. Im Gegensatz dazu schickten die Japaner in den Koreafeldzügen ganz andere Trophäen mit den Schiffen nach Hause zurück:

...nach der Schlacht von Sach´on (1598) hatten die Truppen unter Shimazu Yoshihiro 33.700 chinesische und koreanische Köpfe genommen, welche jedoch nicht zur Inspektion vorbereitet wurden. Statt dessen schnitt man ihnen die Nasen ab, die in Salz gelagert, als Trophäen nach Japan geschickt wurden..."

Auf der anderen Seite ist aber auch bekannt, dass die Bushi eine teilweise recht starke Beziehung zu den von ihnen erbeuteten Köpfen hatten. Matsuno Hirochika, Gefolgsmann des Date-Clan und Veteran der Osaka-Feldzüge von 1615 tötete im Kampf einen Gegner, bei dessen Enthauptung sich herausstellte, dass er noch ein halbes Kind war. Matsuno war von Mitleid ergriffen und führte darauf hin das Abbild seines abgetrennten Kopfes in seinem persönlichen Banner, um so für die Seele des Jungen und seinen Einzug in das Paradies zu beten.

Außerdem war es üblich, ab einer bestimmten Anzahl von erbeuteten Köpfen (33 oder 50) einen Gedenkdienst in einem buddhistischen Tempel abzuhalten und so die Seelen der Toten zu ehren.
Schließlich könnte man selbst bald der Nächste sein...

 

 

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