Etikette und Rituale
Manche finden Sie faszinierend, andere wiederum antiquiert oder gar überflüssig - Etikette. Egal ob im Westen oder im fernen Osten, die täglichen Rituale und Höflichkeitsfloskeln stoßen hier wie da auf unterschiedliche Aufnahme. Dabei entstanden sie doch aus ganz profanen und praktischen Notwendigkeiten heraus. Doch diese Notwendigkeiten sind mit der Zeit in Vergessenheit geraten oder die Umstände haben sich soweit geändert, dass sie nur noch als traditionelle Rituale überliefert sind.
In Japan, und insbesondere in den Kriegskünsten, haben sich viele dieser alten Rituale bis in die Neuzeit erhalten können. Nicht zuletzt, da der Stand der Samurai bis vor ca. 100 Jahren noch existent war und mit ihm alle überlieferten Formen von Waffengebrauch und Umgang täglich trainiert wurden. Durch den Fakt, dass das Daisho (Groß-Klein, Schwerterpaar) oder ein Einzelschwert zur offiziellen Standestracht der Bushi gehörte und von den Männern privat wie zu offiziellen Anlässen getragen wurde, bestimmte vor allem das Schwert den Umgang der Krieger untereinander.
Jede Bewegung, die Art des Tragens oder die Form der Aufbewahrung der Klingen waren streng reglementiert, was vor allem auf praktischen Notwendigkeiten beruhte. Der Grundgedanke jeden Kriegers galt der ständigen Bereitschaft. Ob im eigenen Haus, auf der Straße, beim Essen, beim eigenen Herren, im Feldzug oder sonst wo - immer bestand die Gefahr eines gewaltsamen Konfliktes, dem es zu begegnen galt. So wurden Formen entwickelt, die eine immerwährende Kontrolle des Umfeldes, gepaart mit der Bereitschaft sofort sein Schwert ziehen zu können, verbunden wurden.
Ausgehend vom Gebrauch des Schwertes und seines sofortigen Einsatzes im Notfall zielte jede Bewegung des Alltages auf eine sofortige Bereitschaft des Kriegers ab. Schon die alte Sitzform oder die Art des Abkniens sind speziell dafür festgesetzt worden.
Beim Absetzen ging zuerst das linke und danach das rechte Knie zu Boden. Da die meisten Menschen Rechtshänder waren und sind, trugen sie ihre Schwerter auf der linken Seite, um einen schnellen Griff und den damit verbundenen Einsatz der Waffe zu gewährleisten. Wenn man links abkniete und das rechte Bein noch aufgestellt war, befand man sich in einer Art Iai goshi - quasi einer günstigen Schwertzugstellung. Dieser Ablauf wiederholte sich ebenso bei der Verbeugung im Sitzen, zuerst ging die linke Hand zu Boden, danach die Rechte. Die Schwerthand blieb bis zum letzten Augenblick in Bereitschaft. Beim Zurückführen erfolgten alle Bewegungen in umgekehrter Reihenfolge. Zuerst die Schwerthand - gefolgt von der Linken...
Ohne Kommentar kann man erwähnen, dass Verbeugungen, ob im Stehen oder Sitzen, nur so weit ausgeführt wurden, dass man alle Bewegungen eines Fremden noch aus dem Gesichtsfeld beobachten konnte. Eine Ausnahme bilden hier die komplizierten Reglementierungen der Ehrbezeugungen unter eigenen Leuten, welche in Tiefe und Zeit der Verbeugung streng vorgegeben waren.
Die Rituale, welche den Umgang mit dem Schwert bestimmten, sind uns heute auch noch erhalten. Als grober Etiketteverstoß oder rüpelhaften Benehmens galt es auf offener Straße mit dem Saya (Schwertscheide) eines anderen Samurai zusammenzustoßen (Saya ate). Ähnlich einer heutigen Rempelei konnte es bereits Anlass für einen offenen Konflikt sein. Dies resultierte eventuell daraus, dass es als Einbruch in die Privatsphäre gewertet wurde oder einfach aus dem praktischen Umstand heraus, dass die Berührung der eigene Waffe, auch aus Sicherheitsfaktoren, für jeden anderen Menschen tabu war. Um solch einen Fauxpas zu vermeiden war es wichtig, dass die Samurai lernten sich stets kontrolliert zu bewegen. Aus diesem Grund sollen viele Krieger ihre Schwerter im dichten Straßengedränge fast senkrecht im Gürtel getragen haben - Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.
Auch für das Tragen der Waffe in der Hand gab es, speziell ab der Muromachizeit, Regeln. Normalerweise trug man es in der linken Hand mit der Schneide nach oben. Diese Art ein Schwert zu transportieren entsprach genau der Art, wie es auch im Gürtel eines Kriegers platziert wurde. Man konnte es mit der rechten Hand schnell erreichen und war so gegen plötzliche Überraschungen gut gewappnet. Als aggressiv galt es hingegen, es mit der Klinge nach unten zu führen. Mit einem schnellen Griff war man so in der Lage ohne Vorbereitungen einen rasch geführten Aufwärtsschnitt zu führen. Die defensivste Haltung ein Schwert in der Hand zu führen war wohl die Variante, die beim Betreten von Häusern, Räumen oder dem Gruß bei ranghöheren Samurai zum tragen kam. Dazu wechselte man seine Waffe von der linken in die rechte Hand. Und zwar so, daß die Schneide nach unten und das Tsuka (Griff) nach hinten zeigte. Diese Haltung zeigte Demut und Vertrauen - machte sie es einem Krieger doch am Schwersten seine Klinge durch umständlichen Handwechsel schnell genug einzusetzen.
Ähnlich überliefert sind die Etikette ein Schwert im Katana kake (Waffenständer) abzulegen. Nach Otake Sensei (Katori shinto ryu) ist die gebräuchliche Form der Drapierung in der Halterung mit dem Griff nach links und der Schneide nach oben. Um die Waffe dem Katana kake zu entnehmen, ist man gezwungen mit der rechten Hand zuzugreifen und dann erst in die linke Hand und so in Zugstellung zu bringen. In Kriegs- oder Krisenzeiten änderte man dies auf Griff nach rechts. Wieder spielte der schnellstmögliche Griff zur Waffe und die Bereitschaft zum Schwertziehen die primäre Rolle. So kann man leicht schon an der Art der Schwertdrapierung in einem Haus auf den Geist der Bewohner schließen.
Manche dieser alten Bewegungsformen werden heute noch so oder in abgeänderter Form in allen Dojo weltweit bei Begrüßungszeremonien oder im Training als Höflichkeitsritual durchgeführt. Auch japanisierte Kampfsysteme wir das Karate do haben diese Etiketteformen übernommen. Rituale sind mehr als tote Floskeln oder mystische Schauspielereien. Jede Bewegung in den Kriegskünsten hat ihren Sinn - nichts ist unnötig oder unsinnig. Jahrhundertealte Überlieferungen und tägliche Bereitschaft ließen nur Systeme bestehen, die effektiv genug waren das Überleben des Kriegers zu gewährleisten - von der Verbeugung bis zum letzten Streich...
1 Kommentar:
Hallo Bernd jetzt kann man dein BLOG auch abonieren ;o)
(Siehe rechts Oben)
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